Thomas von Aquin und der Islam

Zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstehen mit den Franziskanern und Dominikanern die Bettelorden. Neu an ihnen ist, dass sie nicht das kontemplative Leben in der Abgeschiedenheit suchen, sondern die direkte Hinwendung zu den Menschen, gerade auch in den Städten. Neu ist außerdem, dass sie das bisherige Armutsideal noch radikaler leben und auf jegliche Art von Besitz verzichten wollen. Die Bettelmönche brechen mit der Struktur des an den Standort gebundenen, einem bestimmten Kloster verpflichteten Ordensleben. Ungebunden und besitzlos verkörpern sie eine neue Art von Freiheit.
Wie sehr sie sich von den Reformorden des Hochmittelalters absetzen, wird schon an der Reaktion damaliger Zeitgenossen deutlich. Die Familie des Thomas von Aquin (* um 1225; + 1274) hätte sich für ihn das Kloster Montecassino und eine Laufbahn zum Abt gut vorstellen können, wollte aber seinen Wunsch, dem Orden des Dominikus beizutreten, nicht akzeptieren. Seine Brüder waren so aufgebracht, dass sie ihn entführten und zwei Jahre in ein Verlies sperrten. Es ist nicht sicher, wie er dieser Gefangenschaft entkam, möglicherweise mit Hilfe seiner Schwestern. Thomas floh, reiste nach Paris und begann ein Studium bei dem großen Dominikanergelehrten Albertus Magnus (* um 1200; + 1280).
Seine Kommilitonen nennen ihn bald einen,,stummen Ochsen", weil er in allen Debatten konsequent schweigt. Manch einer hält ihn vermutlich für dumm - bis zu dem Augenblick, als er seine Scheu zu überwinden und seine Gedanken mitzuteilen beginnt. Was ihn auszeichnet, ist nicht nur sein klarer Verstand, sondern sein zutiefst gutherziger und bescheidener Charakter. Wahrscheinlich ist es gerade diese Kombination, die ihn in so vielen Debatten zum Erfolg führt, sei es bei der Verteidigung der Bettelorden oder des Aristotelismus.
Thomas verbindet christlichen Glauben und aristotelische Philosophie zu einem sich ergänzenden harmonischen Ganzen. Anders als die augustinische Glaubenslehre betont er deutlicher den Wert der menschlichen Vernunft. Und anders als die platonische Ideenlehre sieht er in der Schöpfung und allem Existierenden eine hohe Vollkommenheit, nicht nur ein Abbild von etwas Höherem. Dies wiederum bedeutet eine Aufwertung der menschlichen Würde und alles Seienden. Grundlage ethischen Verhaltens ist das Naturrecht. Es basiert auf den objektiven Gesetzen Gottes, ist gleichermaßen eine mit den Mitteln der Vernunft verstehbare Ordnung, die der positiven Rechtsprechung einer Gesellschaft vorausgehen sollte.
Thomas von Aquin blickt mit großem Optimismus auf die Schönheit der Schöpfung, die für ihn einen tiefen Sinn hat, der auch mit den Mitteln des Verstandes erfassbar ist. In dieser Schöpfungsordnung haben Vernunft, Freiheit, Gerechtigkeit, Würde, Glaube, Liebe und Barmherzigkeit ihren festen Platz.
Die Synthese aus Glaube und Vernunft - der Versuch also, die Ordnung der Schöpfung zu erforschen und ihre Geheimnisse zu verstehen - dient Europa als Wegweiser in die Moderne. Sie trägt maßgeblich bei zu einer christlichen Bildungs- und Wissenschaftstradition, die die Epoche der Aufklärung überhaupt erst möglich machen wird. Dass dieser Weg alles andere als selbstverständlich war, zeigt das Beispiel der islamischen Kulturen, in denen für eine gewisse Zeit ebenfalls der Versuch gemacht wurde, Aristoteles und den Vernunftgedanken mit den Inhalten des muslimischen Glaubens zu vereinen - eine Synthese, die allerdings gründlich misslang und die Weiterentwicklung der islamischen Zivilisation zum Stillstand brachte.
Es ist erstaunlich, dass wir uns bei der Beurteilung des Christentums oft nur noch auf seine Fehler besinnen wollen. Noch absurder sind die Versuche, gleichzeitig den Islam in ein möglichst positives Licht zu rücken. Dabei wird dann in der Vergangenheit geschwelgt, von andalusischer Hochkultur geschwärmt, die große Toleranz gegenüber Dhimmis (Andersgläubigen) gelobt und darauf hingewiesen, dass das Christentum die Wiederentdeckung des Aristoteles allein arabischen Übersetzungen zu verdanken habe.
Noch viel abstruser wird es, wenn es darum geht, die Buchreligionen miteinander zu vergleichen. Judentum, Christentum und Islam, so der Tenor, würden sich nicht wesentlich voneinander unterscheiden. Die einen meinen das im negativen Sinn und verweisen auf das Gewaltpotential des Alten Testaments, das allen dreien als Grundlage diene. Andere vermuten in allen Religionen ganz ähnlich schöne und beruhigende Anweisungen zu Frieden, Toleranz und Nächstenliebe.
Schon Thomas von Aquin hatte in seiner ,,Summa contra gentiles" auf einige wesentliche Unterschiede zwischen Islam und Christentum hingewiesen. Verdächtig war ihm der Koran etwa wegen der “Versprechung fleischlicher Genüsse”, der Vermengung von Wahrem mit “grundfalschen Lehren” und der Tatsache, dass Mohammed über sich selbst sagt, “er sei in der Macht der Waffen gesandt: Zeichen, die auch Räubern und Tyrannen nicht fehlen"63
In seinen fünf Säulen - glaube, bete, tue Gutes, faste, pilgere - steht der Koran noch in keinerlei Widerspruch zu christlichen Themen. Die Unterschiede werden erst in all den Dingen sichtbar, die diese fünf Hauptaussagen begleiten.
Der größte Unterschied ist der zwischen den Religionsgründern selbst, die den Gläubigen als Vorbild dienen. Mohammed nahm das Schwert in die Hand und führte Kriege. Feindliche Stämme hatten die Wahl zwischen Zwangsislamisierung, Kopfsteuer oder Tod. Jesus Interesse gilt dagegen den Armen, Kranken und Sündern. Er heilt Menschen, lebt Nächstenliebe und Vergebung, zwingt niemanden zu irgendetwas und opfert sich schließlich selbst.
Das Wirken Jesu und die Texte der Evangelien sind in ihrer Aussage sehr klar. Über allem steht der Aufruf: Liebt einander, helft einander, vergebt einander. Der Koran besteht dagegen aus zahlreichen Widersprüchen, die gerade in heiklen Fragen wie Gewalt und Religionsfreiheit sehr unterschiedliche Interpretationen zulassen.
So heißt es in Sure 2,256: ”Es gibt keinen Zwang in der Religion.” In Sure 9,3-5 heißt es dann aber: “Und verkünde denen, die ungläubig sind, eine schmerzhafte Pein ... Wenn die heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Polytheisten, wo immer ihr sie findet, greift sie, belagert sie und lauert ihnen auf jedem Weg auf. Wenn sie umkehren, das Gebet verrichten und die Abgabe entrichten, dann lasst sie ihres Weges ziehen.” Wenn auch der Koran an einer Stelle Christen und Juden als “Gläubige” etwas höher einstuft als Heiden, sollen zuletzt doch “überhaupt alle niedergekämpft werden: Heiden, Juden wie Christen (Sure 9,29f.)” 64. Der Widersprüchlichkeit des Koran versucht man dadurch beizukommen, dass spätere Suren mehr gelten sollen als frühere. Nach dieser Regel verliert die Religionsfreiheit im Islam dann endgültig ihren Geltungsanspruch.
Für Christen steht die Gottesliebe im Zentrum ihres Glaubens. “Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm" (1 Joh 4,16b). Für Moslems ist dagegen die Gottesfurcht der zentrale Ausgangspunkt religiösen Denkens und Lebens.
Allah ist ein drohender Gott und zugleich ein lockender. Allerdings lockt er lediglich die männlichen Gläubigen, und zwar mit fleischlichen Genüssen in Gestalt von 72 Jungfrauen. Was oder ob überhaupt etwas auf die Frauen wartet, bleibt ungewiss. Der Koran stellt ihre untergeordnete Rolle auch im Alltagsleben deutlich heraus. “Frauen sollen bei befürchteter Widerspenstigkeit vorsorglich geschlagen werden (4,34). Sie erben nur die Hälfte im Vergleich zu einem Mann und müssen sexuell jederzeit zur Verfügung stehen (2,223). Bei Untreue sind Frauen lebenslänglich einzukerkern (4,15) .” 65
Jesus hingegen geht mit Frauen so offen und liebevoll um wie mit allen anderen auch. Im Epheserbrief heißt es: “... so liebe jeder von euch seine Frau wie sich selbst, die Frau aber ehre den Mann” (Eph 5,33). Und Petrus schreibt: “Ebenso sollt ihr Männer im Umgang mir euren Frauen rücksichtsvoll sein, denn sie sind der schwächere Teil; ehrt sie, denn auch sie sind Erben der Gnade des Lebens” (1Petr 3,7).
Schließlich hält Jesus eine Trennung von Kaiser und Gott für sinnvoll. Von einer christlichen Gesellschaft gelebte Werte wie Nächstenliebe, Freiheit und Würde führen im Lauf der Geschichte konsequenterweise zu einem rechtsstaatlichen System, das zwischen Kirche und Staat trennt und in dem die Menschenrechte - Religionsfreiheit mit eingeschlossen - verankert sind (Hier "Religionsfreiheit" als Freiheit von Zwang - Anm.).
Mohammeds Wirken zielt dagegen auf die Errichtung eines Gottesstaates. Sein Abschiedsbrief aus dem Jahre 632 ist ein Ruf nach islamischer Weltherrschaft: “Mir wurde aufgetragen, alle Männer so lange zu bekämpfen, bis sie sagen: ,Es gibt keine Gottheit außer Gott.’”66 Aus islamischer Sicht kann Rechtsstaatlichkeit nur die Umsetzung von Glaubensanweisungen, also die Scharia, bedeuten.
Es gibt also bedeutende Unterschiede zwischen Christentum und Islam. Auch der Umgang mit Andersgläubigen eignet sich nicht als Hinweis auf eine dem Islam immanente Offenheit. Seine Anhänger erwiesen sich oft genug als sehr grausam und interessenbestimmt. “Mit der Zeit konnte die islamische Herrschaft auf das Dhimmi-System gar nicht mehr verzichten: denn erst der den Schutzbefohlenen abgepresste unermessliche Reichtum” machte den arabisch-islamischen Staat funktionsfähig. Um aber diese Steuern aufzubringen, konnten sogar Kinder in Zahlung gegeben und somit versklavt werden. Am brutalsten geschah dies auf dem Balkan, wo ein Fünftel der Christen-Kinder als Tribut entführt und zu den gefürchteten Janitscharen ausgebildet wurden. Vollends bösartig war das Absinken in die Sklaverei: Es sei unmöglich, so Bat Yeor, ‘die Zahl jener Juden und Christen, die im Laufe der Jahrhunderte aus dem Status von Dhimmis in die Sklaverei abgeglitten sind, genau anzugeben'.”67
Unstrittig ist, dass die Aristoteles-Kommentare eines Averroös (*1126; +1198) im Westen auf großes Interesse stießen. Von Wiederentdeckung kann man allerdings nicht sprechen. Einzelne Schriften wurden über den Politiker und Philosophen Boethius (* um 480-85; +524 oder 526) weitergegeben. Und der Kirchenvater Johann Damaszenus übersetzte bereits im 7. bis 8. Jahrhundert große Teile des aristotelischen Werks. Die Verwendung arabischer Übersetzungen erklärt sich damit, dass es einfach praktisch war, “die Werke aus dem Arabischen zu übersetzen, wenn man das griechische Manuskript nicht fand”, gerade “in den von den Arabern eroberten Gebieten, in Spanien oder Sizilien"68.
Während aber der Aristotelismus in der Scholastik weiterentwickelt werden konnte, wurde Averroös im Islam als Irrlehrer verurteilt. Die wenigen Rationalisten, bekannt unter dem Namen Mutaziliten, verschwanden im 10. Jahrhundert “fast völlig aus der islamischen Geistesgeschichte” 69. Es ist das Ende einer Epoche, beginnend etwa mit dem 9. Jahrhundert, die Wissenschaft, Philosophie und Kultur zugelassen hatte. Einer Epoche, die nur durch die Einbeziehung einer christlichen Elite möglich gewesen war. “AIs Schreiber, Sekretäre, Finanzverwalter, Architekten, Handwerker, Bauern, Ärzte, Literaten, Diplomaten, Übersetzer und Politiker bildeten die Christen die Basis, das Gerüst, die Elite und die Hauptstütze des islamischen Reiches; ohne sie hätte dieses zweifellos weder errichtet noch entwickelt werden können." 70
Ende des ersten Jahrtausends ist Bagdad islamisches Herrschafts- und Kulturzentrum, mit etwa einer Million Einwohner. Aber: “Kein einziger arabischer Übersetzer des neunten Jahrhunderts war Muslim. Es waren alles Christen, bis auf ein oder zwei, die der Gemeinschaft der Sabier angehörten.” 71 Die Sabier verehren die Gestirne als Götter.
Wenn wir die Unterschiede zwischen Christentum und Islam bedenken, verwundert es nicht, dass sich im Abendland eine christliche Naturrechtslehre herausbildet, die Vernunft und Glauben in Übereinstimmung zu bringen sucht, im Morgenland hingegen nicht. Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie der christliche Glaube die Weichen für Europas Weg in die Moderne stellt.

Aus: Bellestrem, Tommy, Ja, aber die Kreuzzüge... Eine kurze Verteidigung des Christentums. Fe-Medienverlag GmbH. 3. Auflage, 2015, S. 59-65.

63 Vgl. Thomas von Aquin: Summa contra gentiles, .WBG Darmstadt 2009, Band I, Buch 1, Kapitel 6, S. 23.

64 Angenendt, Arnold: Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert, S. 388.

65 Rand, Ludwig: Was sie über den Islam wissen müssen, http://schda.files.wordpress.com/2010/10/islamwissen_flyer.pdf

66 Karsh, Efrairn: Imperialismus im Namen Allahs. Von Muhammad bis Osama bin Laden, S. 9.

67 Angenendt, Arnold: Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert, S. 389.

68 Brague, Rémi: “Das islamische Volk ist das belogenste”, in: Die Presse, 21.04.2008.

69 Nagel, Tilman: Angst vor Allah? Auseinandersetzungen mit dem Islam, S. 58.

70 Angenendt, Arnold: Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert, S. 389.

71 Brague, Rémi: “Das islamische Volk ist das belogenste”, in: Die Presse, 21.04.2008.

 

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